Sonntag, 15. November 2009

Erfrischend optimistisch

Die Jugend des Königs Henri Quartre von Heinrich Mann, Fischer Verlag, 2002

Dieser Roman ist lang: in meiner Ausgabe 718 hauchdünne Seiten. Wer lange Romane mag und sich gerne in sie hineinliest, kommt mit diesem voll auf seine Kosten.

Henri Quartre, König von Navarra, Einiger Frankreichs, Friedensstifter und Humanist, stellt in diesem Buch die pure Lebensfreude dar. Wenn ich mich an das Gelesene zurück erinnere, denke ich an den Protagonisten, wie er auf seinem Pferd sitzt mit fliegenden Haaren, dabei laut singt und durch Frankreich reitet. Immer hat er etwas Politisches oder Diplomatisches zu erledigen. Schließlich versöhnt er die Hugenotten und die Katholiken, durch die so viele Kriege ausgelöst worden waren. Dafür wechselt der junge König sogar mehrmals die eigene Religionszugehörigkeit. Menschlichkeit ist ihm das Wichtigste. Aber neben der Pflicht findet Henri Quatre immer viel Freude am Leben. Genießerisch lässt er sich überall etwas Gutes kochen. Ein Hähnchen-Gericht ist nach ihm benannt.
Geliebte warten in jeder Stadt auf ihn, denn sie verwöhnt er gerne. Frauen schätzt Henri sehr. Er hält sie für klug und weise. Viele Geschichten von seiner Lebensfreude erzählt man sich in Frankreich noch heute. In schwierigen Situationen wendet sich der Protagonist ohne Scham an Ratgeber wie Montaigne und bespricht mit ihnen die Lage.
Heinrich Mann, der in der Nazi-Zeit nach Frankreich emigrierte, hat lange recherchiert, um dieses Buch schreiben zu können. Er konnte es 1935 in Amsterdam publizieren und hoffte, dass es etliche Deutsche irgendwie erreichte. Denn das Motiv des Romans ist sicherlich nicht nur die Bewunderung des Namensvetters Henri Quartre, sondern Manns politische und moralische Verpflichtung, seine Landsleute zu trösten und zu motivieren. So tauchen immer wieder Situationen auf, die an das "Dritte Reich" erinnern, wie etwa eine Art Bücherverbrennung oder grausame, kaltblütige Morde an Unschuldigen, die so dargestellt sind, wie sie aus Berichten von Verfolgten in der Nazi-Zeit bekannt sind. Dass zum Schluss alles gut ausgehen wird, ist der Tenor des Romans. Er soll die Zurückgebliebenen trösten und Heinrich Mann vielleicht seine Schuldgefühle nehmen, da er geflohen ist, und sonst nichts ausrichten kann.

Das Buch ist rundum wunderbar. Am besten liest man es auf einer Reise durch Frankreich oder bei einem Besuch von Paris. Die Beschreibungen der Landschaften oder des Louvre sind so detailreich, dass man meint ein Gemälde oder ein Foto vor sich zu haben. Wer sich für historische Zusammenhänge interessiert, findet hier alles gut recherchiert und ausführlich dargestellt. Mir hat der Roman so gut gefallen, dass ich ihn gleich zweimal las. Und das kommt bei mir selten vor.

Samstag, 3. Oktober 2009

Die Kleider der Frauen von Brigitte Kronauer, Reclam Verlag, 2008

Kennen Sie das? Sie möchten einer Freundin etwas Tolles und Wunderbares beschreiben und finden nur Worte wie toll und wunderbar... So geht es mir bei diesem Buch.

Reclam-Hefte, die ich sonst nur mit Schule oder Germanistikstudium verbinde, erinnern mich an Arbeit und weniger Genuss. Dieses Büchlein aber mit seinen 26 Geschichten ist eine wahre Köstlichkeit.
Mit den Kleidern der Frauen sind ihre Hüllen gemeint, ihre wirklichen Garderoben und ihre Kleider im übertragenen Sinn. Es geht um steife Kostüme, um geerbte Nachthemden und um symbolträchtige Perlenketten im tiefen Ausschnitt. Warum erfahren wir nichts von der Reaktion des arabischen Märchen-Prinzen nach seiner Eroberung der Prinzessin in dem Augenblick, als sie ihren Schleier hebt?
Mit bitterem Humor erzählen hier Frauen, Töchter, Tanten und Nachbarinnen, plaudern von Großmüttern, Töchtern, Tanten und Nachbarinnen. Dann wieder schwatzen sie mit listiger Heiterkeit aus ihrem Leben, packen aus und enthüllen vergangene Erlebnisse oder legen beim Bügeln ihre philosophischen Lebensentwürfe dar. Immer anfänglich harmlos, dann überraschend raffiniert kommen die Erzählungen daher. Mit spitzer Zunge, mit Liebe zur Sprache und voller Poesie enthüllt Kronauer vordergründige Begegnungen und Beziehungen. Es geht um Menschen und ihre Maskerade, um Frauen mit vorgespielter Größe und geheimen Wünschen. Brigitte Kronauer entlarvt sie liebenswürdig und mit Respekt.
Ich halte Brigitte Kronauer für die beste zeitgenössische Schriftstellerin und empfehle dieses Buch für Einsteigerinnen. Die anderen Bücher von dieser Autorin möchte man dann auch unbedingt lesen. Da bin ich sicher.

Dienstag, 15. September 2009

Verschwende Deine Jugend von Jürgen Teipel, Suhrkamp Taschenbuch, 2001

Bei diesem außergewöhnlichen Buch handelt es sich um einen Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave.
Das Buch ist deswegen besonders, weil es nur aus vielen einzelnen Textpassagen besteht und diese sind alle jeweils Antworten, also Zitate, auf Interviewfragen. Man liest also gesprochene Antworten auf Fragen, die man als Leser nicht kennt. Der Autor hat diese unendlich vielen Geschichten nach Themen gruppiert wie etwa Hippies, Deutscher Herbst, Krawall 2000 oder Die Befreiung des schlechten Geschmacks und grundsätzlich eine Chronologie des Geschichte des Punks eingehalten, die Kapitel nach wichtigen Zeitphasen geordnet.
Wir lesen den Roman einer ganzen Generation und zwar so vielstimmig und multiperspektivisch, dass man sich fragt, wie es der Autor geschafft hat, die Zitate so logisch und spannend zusammenzustellen.
Insider der Musik- und Kunstszene aus dem Punk kommen zu Wort und bewirken so die unmittelbare Stimmung, als Leser dabei zu sein. Die Sprecher sind am Ende des Buches aufgeführt und kurz charakterisiert. Es wird sogar beschrieben, was aus ihnen geworden ist. Ebenso findet man im Anhang eine Zeittafel.
Wer sich in der Szene auskennt, findet alle wichtigen Bands der damaligen Zeit wieder wie etwa Fehlfarben, DAF, Palais Schaumburg oder Popmusiker wie Campino und Blixa Bargeld. Wer sich nicht so gut auskennt, findet Berühmtheiten wieder, die noch heute öffentlich aktiv sind wie etwa Nina Hagen oder Ben Becker.
Als Leser bekommt man die Stimmung der Punk-Szene hautnah mit und die innere Logik für etliche ihrer Aktionen. Das schafft der Autor sicherlich durch seine interessierte und tolerante Haltung gegenüber seinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Teipel hat viel Geduld bewiesen, indem er drei Jahre lang mit fast 100 Interviewpartnerinnen und -partnern gesprochen, die Gespräche ausgewertet und zu einem zusammenhängenden Text zusammengefügt hat.
Fotos in schwarz-weiß runden das Ganze ab und machen das Buch zu einem Genuss.
Ich kann das Buch sehr empfehlen.

Donnerstag, 10. September 2009

Die Klangprobe von Siegfried Lenz, Deutsche Taschenbuch Verlag, 1993

Steinmetze unterziehen den Stein, den sie bearbeiten möchten, einer Klangprobe. Am Klang erkennt der Künstler Fehler, Hohlräume, Risse und Einsperrungen. "Man sollte sie auch für gewisse Leute einführen, die Klangprobe, dann bekäme man zeitig genug zu wissen, was in ihnen steckt, und man könnte sich vor Überraschungen sichern.", heißt es an einer Stelle.

Lenz schreibt in diesem Roman aus der Sicht eines jungen Mannes eine wunderschöne Liebesgeschichte. Der Ich-Erzähler arbeitet als Warenhausdetektiv und entdeckt eines Tages eine Frau beim Diebstahl, was er ihr aus einem spontanen Gefühl heraus duchgehen lässt. Aus der Beobachtung und der schüchternen Kontaktaufnahme entwickelt sich langsam eine zarte Beziehung zwischen ihm und der jungen Frau. Diese, Lone, kümmert sich rührend um ihren verwaisten Neffen Fritz und sucht gerade eine Wohnung. Was liegt da ferner, als beide in das leere Zimmer zu Hause bei der Familie, das heißt bei seinen Eltern und seiner Schwester, einziehen zu lassen. Hier scheint der Einzug allen zu gefallen. Vor allem weicht Lone mit ihrer Dirketheit den hartherzigen Vater auf, der - passend - als Steinmetz arbeitet. Fritz vor allem gefallen die vielen Steine im Hof. Darüber möchte er alles wissen. Während aus der Sicht des Alten eher Probleme mit dem Beruf des Steinmetzes verbunden sieht, kann der Junge sich ihn schon als Traumberuf vorstellen.

Diese heitere und melancholische Liebes- und Familiengeschichte endet nicht glücklich, sondern nachdenklich, wie das bei Lenz oft der Fall ist. Sie hinterläßt beim Leser aber ein Gefühl der Zufriedenheit, weil er Menschen und Schicksale beschreibt, wie sie wirklich sind.

Mittwoch, 9. September 2009

Du fehlst von Joyce Carol Oates
S.Fischer Verlag 2008

In diesem Roman geht es um die Entwicklung einer jungen Frau nach dem Tod (durch Mord) ihrer Mutter. Eindringlich beschreibt die Autorin als Ich-Erzählerin die Gefühlslage und die Handlungen der Protagonistin Nikki in ihrer Trauersituation im Laufe eines Jahres.

Nikki orientiert sich langsam neu, ändert kaum merklich ihr Verhalten und setzt sich allmählich auch mit der Vergangenheit ihrer Mutter auseinander. Das alles stellt Oates gekonnt durch etliche Dialoge, realistisch genaue Situationsbeschreibungen und Gedankenspiele dar. Beim Lesen lebt man mit dieser Tochter mit, nie wird es langweilig. Im Gegenteil, zwischendurch legt die Autorin andeutungsweise eine falsche Spur, nämlich dass ein ganz anderer der Mörder war, ein alter Bekannter, statt der sofort von der Polizei gefasste Drogensüchtige Mann.

Oates kennt sich in Trauerarbeit aus, denn sie beschreibt glaubwürdig alle Phasen davon: Schock, Traurigkeit, Wut, Angst und Aggression bis hin zur Bewältigung durch sich Abfinden mit dem Schicksal. Man fühlt als Leser mit, wird aber nicht in der Stimmung heruntergezogen. Sondern das Buch ist von Anfang bis Ende spannend geschrieben. Oates vermeidet Kitsch und Setimentalität durch ihre einfache aber genaue Sprache.

Ein rundum gelungenes Buch.

Über mich

Lesen ist mein großes Hobby. Schreiben macht mir auch Spaß. Rezensionen in Zeitschriften sind oft so abgehoben, dass ich hier versuche, auf ganz schlichte Art meinen Eindruck von Büchern wiederzugeben und zwar von der Geschichte, von der Sprache und der Idee des jeweiligen Buches. Viel Spaß beim Lesen!